Genesis - Live 14 April 1973
Case Western Reserve University
German Translation By Volker Warncke
In einer kleinen Turnhalle in der Innenstadt von Cleveland, Ohio, auf dem Campus der Case Western Reserve Universität vor fast 50 Jahren, gab es ein Konzert-Line-up mit den Bands It's a Beautiful Day, Genesis, and Sylvester & The Hot Band. Am Samstag, den 14. April 1973 betrat die britische Band Genesis, die in den USA noch relativ unbekannt war, die Bühne, um Material von ihrem aktuellen Album Foxtrot zu spielen, aber auch einige Stücke ihrer beiden vorherigen Alben. Ihr bei den Kritikern besonders beliebtes Album Selling England by the Pound, sowie ihre bisher ehrgeizigste LP The Lamb Lies Down on Broadway... waren damals noch weit weg am Horizont. An dieser Stelle wollen wir nun unsere Geschichte beginnen. Ken arbeitete bei der Radiostation, 30 Minuten südlich von Cleveland. Er versuchte auch, seiner eigenen progressiven Band zum Erfolg zu verhelfen, und er wollte Genesis interviewen. Hat er sie nun mit einem Schreibblock oder einem Kassettenrekorder interviewt? Nein. War er an ihrem Ruhm, ihren Masken oder an den Bedeutungen ihrer Texte interessiert? Möglicherweise. Vor allem wollte er mehr über ihre Instrumente und Geräte und ihren Schreibprozess erfahren, um daraus Tipps für seine eigene Band abzuleiten. |
Akron
Beacon Journal 13 April
1973 |
Kalkuliertes Glück
Ken: “Man könnte das ‘Kalkuliertes Glück‘ nennen. Ich konnte uns Zutritt zu den richtigen Orten verschaffen, weil ich einen Presseausweis hatte, und damit war ich legitimiert. Ich war dort vor allem, um dabei zu helfen, sie zu promoten, aber ich wollte auch dazulernen. Ich bin ein Komponist, ‘Wie geht ihr da ran? Wie ist der Prozess? Wovon werdet ihr inspiriert? Was kommt zuerst? Wer schreibt was?’ Wenn ich jetzt nach all den Jahren ihre Autobiographie lese, denke ich ,Ja genau!‘ [lacht]. “Jedesmal, wenn sie wieder [nach Cleveland] kamen, haben wir sie getroffen, besser kennengelernt und haben uns ihre Ausrüstung angeschaut. Ich habe Fragen gestellt wie ,Wie habt ihr diesen Polymoog-Klang hinbekommen? Was lasst ihr da durchlaufen?‘ Er war immer sehr gesellig - so gesellig wie Tony eben ist [lacht]. Toller Typ. Hat so viele schöne Sachen geschrieben. Wir [meine Band] machten einige Aufnahmen und haben ihm ein Band mit 4 oder 5 Songs gegeben. Beim nächsten Mal, als sie dann im [Richfield] Coliseum [1977] spielten, gingen wir zur Aftershow-Party und ich habe ihn gefragt: ,Hast du mal in die Aufnahme reingehört? Wie fandest du es?‘ und Tony meinte ‘Ich finde, ihr klingt mehr wie Yes als wie wir [Genesis]‘und ich antwortete ,Wirklich? Vielen Dank!‘ aber das mochte er nicht [lacht]. Aber wir haben wirklich nicht versucht, wie irgendjemand zu klingen, wir haben einfach geschrieben, was wir mochten - aber ich habe es als Kompliment verstanden.“ Swingos war ein Hotel in Cleveland, in dem die ganzen berühmten Bands abstiegen, von Elvis bis Led Zeppelin. Jetzt ist es ein Comfort Inn, aber in den 70ern waren Genesis dort und Ken traf sie da. “[Tony] hasste das Hotel, genau wie Phil, der es in seinem Buch schäbig nannte. Aber da kamen nun mal all diese Bands hin.“, erzählt Ken. Peter und Ken in seinem Studio Inspiration Ken: “Wir hatten diese Leute [Bands] meist schon entdeckt, bevor sie berühmt wurden, und dann war es einfacher, sich mit ihnen zu unterhalten. Rick Wright hat mir mal erzählt, dass es in der Anfangszeit [von Pink Floyd] mehr Leute in der Band als im Publikum gab, so dass sie uns also sehr dafür schätzten, weil wir so viel taten, um so viele [Bands] wie möglich bekannter zu machen. Ich musste wirklich nicht auf der Bühne stehen oder so, denn Komponieren war eher mein Ding. Aber eines Tages habe ich ELP live gesehen. Nach dem Konzert war ich ein anderer Mensch. Ich dachte mir: “Wenn diese Jungs das hinkriegen, dann muss ich wenigstens etwas hinkriegen.“ Irgendwann später las ich, dass Tony eine ähnliche Erfahrung hatte, als er The Nice mit Keith Emerson gesehen hatte. Wenn jemand dermaßen gut ist, dann inspiriert einen das einfach.“ Genesis Live Ken: “Wenn du da warst, dann warst du nirgendwo sonst. Du warst irgendwie in einer anderen Welt. Es war nicht anmaßend... Im Laufe der Jahre lernte ich sie immer mehr zu schätzen, weil ich ja eben auch wusste, was hinter den Kulissen ablief. Kens guter Freund und Bandkollege hat sich meistens um das Fotografieren gekümmert. Zu Anfang hat Ken auch fotografiert, aber bald wurde ihm klar, dass die Fotos seines Freundes so viel besser waren. Leider sind viele der Fotos verloren gegangen oder wurden beschädigt. Das Genesis Museum hat so viele wie möglich davon wiederhergestellt und eingescannt. “Wir haben uns damals zuerst die Shows in Pittsburgh, Detroit oder Columbus angesehen, so dass mein Freund dann bei der jeweiligen Cleveland-Show schon die Details genau kannte und sich genau überlegen konnte, wann er wo mit der Kamera draufhalten musste. Er hat wirklich so einige beeindruckende Fotos gemacht, die waren richtig gut. Aber er hat nie auch nur ein einziges davon irgendwo veröffentlicht.“ April 1973 - Foxtrot Tour Ken: “Ich hatte ein bis eineinhalb Jahre darauf gewartet, weil ich als Leiter einer Radiostation Uni all diese Alben vor ihrer Veröffentlichung in die Hände bekam, um sie bekannter zu machen. Ich weiß noch, wie ich mir die Genesis-Alben angehört habe und dachte: “Oh, diese Jungs werden mal berühmt!“ Es war wirklich einzigartig, sie hatten einen anderen Sound. Ich habe das also weiter im Auge behalten. Im Radio habe ich sie so oft wie möglich erwähnt, aber sie waren einfach noch völlig unbekannt.“ Zumindest in den USA. Wenn man mit Ken spricht, hört man sofort, dass er tatsächlich eine “Radiostimme“ hat. Ken: “Im Radio habe ich vor allem die Nachrichten gesprochen, aber ich hatte auch eine Talkshow. Hin und wieder bin ich auch für ein Programm namens Fresh Air eingesprungen. Sie hatten damals eine ganze Bibliothek fürs Radio, und alles, was als Promo reinkam, habe ich mir geschnappt, angehört und dann gespielt.“
Wie ich die Show gefilmt habe Ken: “Ich hatte da also diese Kamera mitgebracht, weil ich auch eine Filmklasse machte. Ich hatte sie zufällig ausgeliehen und mir gedacht: “Oh ja, die muss ich mitbringen!“. Habe sie also mitgebracht; es gab da keine Bestuhlung und wir saßen einfach auf dem Boden, in der ersten Reihe, kaum mehr als einen Meter vor der Bühne. Von da aus habe ich also einiges an Fotos gemacht. “Es war ein sehr interessanter Tag, weil sie richtig gut drauf waren, einfach gute Jungs. Also wir sitzen da ganz vorne, und dann gehen die blauen Lichter an. Und er kommt raus - Watcher Of The Skies. Und ich denke mir nur so: ,WOW!‘ Und das Mellotron ist auch nur genial - später habe ich ja sogar eins gekauft. Ich habe es nur nicht von Robert Fripp erworben so wie Tony, sondern von Eric Carmen [lacht].“ “Und hinterher sind alle gegangen, nur wir nicht. Und so haben wir das über die Jahre hinweg immer wieder gemacht, selbst, als sie schon in Stadien spielten. Ich und mein Freund, wir waren die einzigen, die noch länger blieben. Hinterher haben wir dann ein Interview geführt, vor allem mit Peter, und dann kam Phil raus und hat sich zu uns gesellt. Wir haben uns prächtig unterhalten und Fotos gemacht. Das hat schon richtig Spaß gemacht [lacht].” TGM: “Als ihr das Interview gemacht habt, war das für eine Zeitung oder habt ihr es für euer Radio aufgenommen?“ Ken: “Nein, ich hatte nichts zum Aufnehmen dabei. Wir wollten vor allem immer wissen: ,Wer sind diese Jungs?‘ Es klang geheimnisvoll und anders. Und beim Lesen der ganzen Berichte über sie in den Magazinen haben wir uns immer wieder gefragt: ,Worum geht es denen wirklich?‘ “Sie waren hier [in den USA] noch ganz neu und haben versucht, sich eine Gefolgschaft aufzubauen. Und damals war es einfach so und eben auch typisch für Cleveland, dass hier jede Menge Bands den Durchbruch schafften und sie deswegen öfter wiederkommen konnten, und so hat sich hier eine Anhängerschaft gebildet.“ April 1974 - Selling England by the Pound Tour
Nach dem Konzert haben wir sie dann noch im Hotel getroffen. Es gab eine große Party für die Band in einem der Konferenzräume im Hotel [Swingos]. Wir steigen also in den Aufzug und da ist eine Dame, die ungefähr im 6. Monat schwanger ist und es ist Peters Frau. Sie sagt zu uns: ,Er kann sowas [Partys] nicht ausstehen. Könnt ihr ihn woanders hin mitnehmen?‘ Wir hatten damals unser eigenes Aufnahmestudio nicht weit vom Hotel, also sagte ich: ,Na klar!‘ und wir fuhren mit ihm in unser Studio. Wir hatten damals verschiedene Teile von Genesis-Songs genommen und in ein neues Stück gemixt. Peter kam da also in dem Studio an und wir haben es ihm vorgespielt [lacht] und er gab uns stehende Ovationen. “Peter hatte ein Auge auf unser Klavier geworfen und fragte: “Darf ich mal spielen?“ Ich sagte: ,Na klar!‘ Peter spielte also 15 - 20 Minuten und ich ließ die Aufnahme im Studio mitlaufen. Jahrzehnte später habe ich mir die Aufnahme nochmal angehört, weil ich dachte: ,Vielleicht war da etwas drauf, das später mal ein Song wurde‘ aber da war leider nichts. Er hatte einfach nur so aus Spaß vor sich hingespielt. Supper's Ready “Wir haben uns richtig ernsthaft mit ihm über Supper’s Ready unterhalten, und das habe ich auch aufgenommen. Aber dabei haben wir damals über die Band gesprochen. Ich meine, wir waren 23 oder 24. Mein Freund sagte zu Peter: ,Es war schon fantastisch, was ihr da erschaffen habt!‘ Aber Peter verneinte, denn sie hätten einfach nur ein Album gemacht. Sie hatten damals ja sogar Schulden. “Wir waren auch total fasziniert von Supper’s Ready. Er erzählte uns diese Geschichte, wie er und seine Frau eines Nachts in einem Schloss übernachteten und da war auch ein Friedhof und es gab ein Unwetter und das hat ihn dazu angeregt, diese Story zu schreiben. Er hat uns Supper’s Ready dann in allen Teilen genau erklärt, Abschnitt für Abschnitt. Die Inspiration kam für ihn eher aus einem Gefühl, oder einer Metapher und Bildern. Wir haben da also Supper’s Ready, was ja richtig viel Drama bietet, aber so wie Peter es erklärt, einfach weil er so anders ist, wenn er nicht auf der Bühne steht, da ist es gar nicht mehr so dramatisch [lacht]“. “Wir haben da [im Studio] also jede Menge Fotos gemacht und er hat unsere Wand signiert. Echt netter Typ, aber was ich am erstaunlichsten fand, ist, dass er die eine Person auf der Bühne ist und eine ganz andere hinter der Bühne. Das hatte ich nicht erwartet. Auf der Bühne diese Wucht und Dramatik, ansonsten aber ist er eher ruhig und zurückhaltend, ja fast schon scheu. Also sehr ruhig, sehr zuvorkommend. Toller Typ - aber so gar nicht wie man denken könnte, wenn man ihn nur von der Bühne kennt. Ich habe jede Menge Leute aus den größten englischen Prog-Bands getroffen, und ich habe mich gefragt, ob da irgendjemand war wie er, aber mir fällt keiner ein.“ November 1974 - Die Lamb-Tour “Ich las die Anmerkungen im Genesis Boxset, weil ich auf der Suche nach Ideen für meine eigene Anthologie war, und da war ein Abschnitt, von Tony geschrieben, das mit ,Eine Nacht in Cleveland‘ begann und ich dachte nur ,Das gibt’s ja nicht!‘. Ich weiß noch, dass Peter an dem Tag vom Arzt verboten worden war, auch nur zu irgendjemandem irgendetwas zu sagen, er durfte nicht reden, um seine Stimme zu schonen. Phil besuchte uns im Studio. Er spielte ein bisschen auf dem Schlagzeug meiner Band, und dann spielten wir für ihn ein Stück, das wir geschrieben hatten, und es war eher ungewöhnlich. Er meinte dazu: ,Es ist irgendwie anders, gefällt mir‘. Wir dachten dann natürlich, vielleicht kann er da was machen, denn wir wollten unsere Band promoten. Aber dann haben wir herausgefunden, dass ihr Manager, wer auch immer das war, nie irgendwelche Belege behalten hatte, so dass sie locker eine halbe Millionen Dollar an Steuerschulden hatten. Aber so war Phil, er schien sich nie so richtig Sorgen über Geld zu machen, es kümmerte ihn einfach nicht.“
Die Lamb Lies Down On Broadway-Tournee war eine fantastische theatralische Show und viele Fans konnten gar nicht verstehen, warum es keinen Konzertfilm dazu gegeben hat. Dazu Ken: “Ich konnte es nicht glauben und habe sie gefragt, und gesagt: ,Bitte sagt mir, dass ihr das auf Video habt.‘ Aber sie haben gesagt: ,Nein.‘ Ich habe gefragt, warum, und sie sagten, es würde zehntausend Dollar pro Abend kosten, die Show überhaupt zu machen, und das war damals natürlich eine Stange Geld.‘ Sie haben mir nicht gesagt, was es gekostet hätte, das professionell zu filmen. Sie waren ja schon verschuldet und hätten wohl sowieso nicht die Mittel dafür gehabt.“ April 1976 - A Trick of the Tail Tour Ken: “Sie kamen dann zurück mit A Trick Of The Tail mit [Bill] Bruford, den wir schon mal einige Jahre zuvor getroffen hatten, als er bei [King] Crimson war. Ich hatte ihn 1973 interviewt, als sie in Kent gespielt hatten. Bei der A Trick Of The Tail-Tournee interviewte ich Tony, und wir waren zum Soundcheck da.” Ken traf die Band jedesmal, wenn sie nach Cleveland kamen. Wind & Wuthering, And Then There Were Three, und noch bis in die 1980er Jahre, und auch bei Phils Solo-Tourneen und Mikes Mechanics-Tourneen. Ken hatte Genesis damals willkommen geheißen, als sie in den USA noch kaum einer kannte. Im Gegenzug hat Genesis Ken immer willkommen geheißen, sogar als sie schon richtig erfolgreich geworden waren. Ken: “Sie haben sich angefreundet und mein Partner [Schlagzeuger/Bandkollege] hat immer mal wieder mit Phil telefoniert und hat immer Weihnachtskarten von ihm bekommen. Peter gab mir die Adresse seiner Eltern, und die habe ich immer noch.“ Phil and Ken's friend/drummer/photographer Das Genesis Museum und Thomas Manchon (Ikhnaton) archivieren Kens Materialien und Geschichten. Es gibt eine immense Menge an Material, von dem einiges verloren gegangen ist, einiges durch Wasser beschädigt oder verblichen ist. Wir werden alles, was wir finden können, nach und nach wiederherstellen und veröffentlichen. Ken ist uns dabei eine große Hilfe, aber er ist auch sehr beschäftigt. Wir aktualisieren diese Seite dann immer wieder, wenn wir auf neues Material und Informationen treffen. (c)2021 The Genesis Museum
and Thomas Manchon |